Neue Weltordnung: Welcher Platz für Europa?

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Von Sylvain Etaix

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„Wir sind in die G0-Welt eingetreten, in der es keine internationale Ordnung wie die G20 oder G7 mehr gibt. Welche Rolle spielen wir als Europäer? Ich habe den Eindruck, dass Europa eher beschlossen hat, seine Chance zu verpassen, als sie zu ergreifen.“ Diese Feststellung, die Sigmar Gabriel am 5. Oktober in Bercy anlässlich des Deutsch-Französischen Wirtschaftstags traf, ist eindeutig. Der Vizekanzler Deutschlands unter Angela Merkel (2013 – 2018) geißelt ein Deutschland, das „nicht auf die Vorschläge von Emmanuel Macron im Zuge seiner Sorbonne-Rede reagiert hat“ und „sich nicht genug für Europa engagiert“.
Journée Franco-Allemande de l'Economie

© Maxime Pannier
Sigmar Gabriel (r.) und Hubert Védrine am 5. Oktober in Bercy anlässlich des von der AHK Frankreich organisierten Deutsch-Französischen Wirtschaftstages.

Gefahr einer Provinzialisierung Europas

Er, der auch Außenminister (2017 bis 2018) war, verweist Franzosen und Deutsche auf ihre „überwältigende Verantwortung“. Da Frankreich und Deutschland seit Beginn des Krieges in der Ukraine eher ihre Differenzen (Verteidigung, Energie, Haushalt) als ihre Gemeinsamkeiten zur Schau stellen, warnt er: „Verlieren wir uns nicht in alltäglichen Streitereien. Europa muss seinen Platz in der neuen Weltordnung finden, sonst droht die Gefahr der Provinzialisierung …“ „Franzosen und Deutsche sind zu großen Dingen fähig“, erinnert er. „De Gasperi und Schumann forderten die Deutschen auf, das aufzubauen, was die Europäische Union werden sollte, und dies nur wenige Jahre nachdem die Panzer das Chaos angerichtet hatten … Es ist 80 Jahre her, dass sich Deutschland von der Weltbühne zurückgezogen hat. Das letzte Mal war es eine Katastrophe für die Welt. Jetzt muss man sich dieser neuen Welt zuwenden – gemeinsam mit unseren französischen Freunden und im Rahmen der Europäischen Union.“

Stromabkommen: erste gute Nachricht

Wenige Tage später wurde der Hamburger Gipfel von dem Angriff der Hamas in Israel überschattet. Das Treffen zwischen Olaf Scholz und Emmanuel Macron führte zu keinen großen Fortschritten. Außer vielleicht in der Stromfrage. Am 17. Oktober erzielten die 27 endlich einen Kompromiss, um den europäischen Markt zu stabilisieren. Deutschland und Frankreich haben diese Einigung zu diesem seit mehreren Monaten angespannten Thema mit Händen und Füßen erkämpft. Auf deutscher Seite befürchtet man, dass die Aussicht Frankreichs auf „Differenzverträge“ (CFD) für seinen bestehenden Kernkraftwerkspark einen neuen Wettbewerbsvorteil für französische Unternehmen bedeuten könnte. Sie könnten im Falle hoher Marktpreise – so die in Berlin geäußerte Befürchtung – neben dem Zugang zur Kernenergie auch von einer zusätzlichen Einkommensumverteilung profitieren. Im Klartext: Die Deutschen befürchten, dass Fabriken nach Frankreich verlagert werden könnten. Berlin zählt auf das Schiedsverfahren der Europäischen Kommission, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Es bleibt abzuwarten, wie diese im Eilverfahren gefundene Vereinbarung in Kraft treten wird, da keine Folgenabschätzung durchgeführt wurde.

Impulse aus Wirtschaft und Verbänden

Zu Zeiten dieser belastenden Nachrichten, in denen die deutsch-französischen Beziehungen manchmal ziemlich dürftig erscheinen können, kommen die guten Nachrichten aus der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft. Seit Beginn des Herbstes zeugen zahlreiche Veranstaltungen in Frankreich und Deutschland von der Vitalität und dem Willen der Wirtschaftsakteure, die Linien zu verschieben: Tag der deutsch-französischen Dienstleister (Paris), RheinForum182 (Rust), Deutsch-Französische Begegnungen in Metz, Kongress der Leiter französischer Tochtergesellschaften in Deutschland (Köln), Kongress der deutsch-französischen Wirtschaftsclubs (Straßburg), Deutsch-Französischer Tag der Wirtschaft (Paris) …

In Cannes und Leipzig (siehe Seite 22 & 23) wurden gerade zwei neue deutsch-französische Wirtschaftsclubs gegründet: ein starkes Signal für das Engagement der bilateralen Wirtschaftswelt. Die andere gute Nachricht kommt aus der Zivilgesellschaft. Am Wochenende versammelten sich auf dem 67. Kongress der Föderation deutsch-französischer Akteure für Europa (FAFA/VDFG) in Versailles fast 400 Personen, um die Mobilität und neue Kooperationen zu fördern und sich für das Erlernen der Sprache des Partnerlandes einzusetzen. Eine Petition gegen die Schließung der Goethe-Institute in Frankreich sammelte mehr als 6.530 Unterschriften (Stand: 23. Oktober). „Die deutsch-französischen Beziehungen sind nicht nur eine politische Angelegenheit. Unter welchen Umständen auch immer, die Zivilgesellschaft schreitet weiter voran“, fasst Jean-Michel Prats, Präsident der FAFA für Europa, zusammen.

 

Wenn die Politik auf der Stelle tritt, kann das deutsch-französische Paar mit den Akteuren aus Wirtschaft und Verbänden rechnen, um voranzukommen.