Deutschland: Kranker Mann Europas oder nur mutlos?

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Von Cécile Calla

Veröffentlicht am - Aktualisiert am

Die sich häufenden schlechten Konjunkturnachrichten sind nicht irreversibel. Das Land muss die richtigen Bedingungen schaffen, damit sich seine Industrie an die aktuellen Risiken und den Wandel anpassen kann.

Die schlechten Nachrichten häufen sich auf der anderen Seite des Rheins: Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2023 (-0,3 %) – das zweite Mal seit 2020 -, Unmut der Landwirte Anfang Januar, ein langer, sechstägiger Streik bei der Deutschen Bahn, ein flauer Außenhandel und ein schlechtes Geschäftsklima mit einem weiteren Rückgang des IFO-Indexes. Es gibt sicherlich offensichtliche Gründe für die Abschwächung der deutschen Wirtschaftsmaschinerie. Der Krieg in der Ukraine, der die Energiepreise in die Höhe trieb und als Reaktion darauf die Zinssätze ansteigen ließ, sowie die Verlangsamung der weltweiten Nachfrage belasten die deutsche Konjunktur schwer. Das Verhalten Chinas auf der internationalen Bühne, die undurchsichtige Position einer Reihe von Schwellenländern und die Lage im Nahen Osten sorgen für zusätzliche Unsicherheit in Bezug auf den Zugang zu Rohstoffen und Energie sowie auf das Funktionieren der globalen Lieferketten und der wichtigsten Absatzmärkte.

Austeritätspolitik

Aber auch die deutsche Regierung trägt ihren Teil dazu bei, indem sie „die importierte Konjunkturmisere noch verschlimmert“, so die Süddeutsche Zeitung. Seit der Entscheidung des Karlsruher Verfassungsgerichts im November letzten Jahres über ein umstrittenes Finanzmanöver verfolgt die Dreiparteienkoalition aus Sozialdemokraten (SPD), Grünen und Liberalen (FDP) eine Sparpolitik, die die Chancen auf eine wirtschaftliche Erholung, die durch einen stetigen Rückgang der Inflation und Lohnerhöhungen begünstigt wird, zunichte zu machen droht. Experten rechnen damit, dass die Wirtschaft in diesem Jahr mit einer Rate zwischen 0,5 und 1 % wieder wachsen wird. „Man fragt sich, warum die Ampel (so wird diese Koalition auf Deutsch genannt) ein solches Risiko eingeht“. Die Münchner Tageszeitung schreibt weiter, dass diese Sparpolitik das Staatsdefizit auf 1 % senken wird, während die EU bis zu 3 % erlaubt. Für 2023 hat das öffentliche Defizit 2 % erreicht und liegt damit weit unter dem Höchstwert des Stabilitäts- und Wachstumspakts.

Haushaltsspielräume

Wie die Süddeutsche Zeitung plädieren viele Experten für eine Reform der Schuldenbremse, die seit 2011 in der deutschen Verfassung verankert ist. Denn das Land braucht mehr denn je haushaltspolitischen Spielraum. In einem Umfeld, das von geopolitischen Unruhen und der Transformation der Wirtschaft geprägt ist, sind Humanressourcen, Infrastruktur, Bildung und Forschung von grundlegender Bedeutung, damit Deutschland all diese Herausforderungen meistern kann, stellt Michael Grömling vom arbeitgebernahen IW-Institut in Köln in einem Artikel fest, der in der Wochenzeitung „Das Parlament“ veröffentlicht wurde. Auch will der Wirtschaftswissenschaftler optimistisch bleiben. „Deutschland hat mit seiner diversifizierten Industrie gute Chancen, die mit diesen Megatrends verbundenen Anpassungen in Zukunft in Angriff nehmen zu können. In diesem Zusammenhang ist der Begriff kranker Mann Europas‘ nicht sehr passend“.

„Deutschland hat mit seiner breit aufgestellten Industrie gute Chancen, auch in Zukunft an der Bewältigung der mit diesen Megatrends verbundenen Anpassungen mitzuwirken“